Johannes Stüttgen : Die Entstehungsgeschichte der FIU Free International University
Die FIU ist als Lebewesen aus dem Impuls des erweiterten Kunstbegriffs und den Aktivitäten ihm verpflichteter Menschen entstanden und in der Aufeinanderfolge organischer Phasen weiterentwickelt worden. Diese Phasen lassen sich im Wesentlichen, wie folgt, beschreiben:
1. Die erste Phase bezeichnet die Maßnahmen der Erweiterung des Kunstbegriffes, wie sie Joseph Beuys als Spezialist innerhalb der Kunst der Moderne vorgenommen hat. Sie ist identisch mit den Arbeits- und Werkresultaten der umfangreichen Forschungstätigkeit die - des Künstlers, zu denen mittlerweile weitgehend öffentlicher Zugang besteht und die hier im einzelnen nicht erläutert werden müssen. Joseph Beuys hat den Kunstbegriff der Moderne auf seine spirituelle Substanz verdichtet, seine Isolator Funktion radikal vollzogen und ihn mit der dadurch gewonnenen Wärmeenergie für alle Bereiche menschlicher Lebensbetätigung auf— gesprengt. Beuys setzte so ein historisches Signal für alle, die am gleichen Strang gearbeitet haben und es immer noch tun.
2. Die zweite Phase setzt mit der von Joseph Beuys systematisch betriebenen, aus der Logik des erweiterten Kunstbegriffs abgeleiteten Lehrtätigkeit an der Kunstakademie Düsseldorf ein, wo er 1961 einen Lehrstuhl für “Monumentale Bildhauerei” erhielt. Schon die ersten öffentlichen Aktivitäten als Professor - so die Initiierung von FLUXUS – Konzerten, die er innerhalb und außerhalb dieses Instituts betrieb - , aber auch seine rigorose Pädagogik, brachten ihn von Beginn an mit der Staatsgewalt und Kulturbürokratie in Konflikt, der sich im Laufe der Jahre, gesteigert durch Missgunst und Beamtenmentalität der Kollegen, immer mehr zuspitzte. In von ihm in seiner Klasse regelmäßig organisierten “Ringgesprächen”, an denen nicht nur Studenten der gesamten Akademie, sondern auch Menschen von außerhalb teilnahmen, löste er einen Bewusstseinsprozess über den Kunstbegriff aus, der sich sehr schnell auch auf die Neugestaltung der Kunstakademie im Sinne ihrer A u t o n o m i e und Entstaatlichung bezog und die Notwendigkeit einer Umgestaltung des gesellschaftlichen Ganzen ins Auge fasste. Seit 1966/67 wurde die Beuys-Klasse immer mehr zu einem Zentrum der internationalen Studentenbewegung, der antiautoritären, außerparlamentarischen Opposition (APO), ohne allerdings, wie im Allgemeinen, aufgesogen zu werden von marxistischen Ideologien.
3. Im Zuge dieser Entwicklung gründete Joseph Beuys im Juni 1967 in der Kunstakademie Düsseldorf die DEUTSCHE STUDENTENPARTEI, die er als sein “größtes Kunstwerk” bezeichnete (Deutsche Studentenpartei - die größte Partei der Welt, aber die meisten Mitglieder sind Tiere”). Diese Partei, die sich selbst als ‘Antipartei” oder “Metapartei” definierte und sich als solche als Transformatorprinzip in das politische Kräftespiel einschalten wollte, enthielt in ihrem Programm (“DAS ZIEL 1ST DIE METHODE”) u. a. folgende Punkte: Absolute Waffenlosigkeit’/ ‘Die Überwindung der Blöcke in West und Ost - ein neutrales, geeintes Europa”/ “Die Überwindung des Einheitsstaates”/ “Die Selbstverwaltung der autonomen Glieder wie Kultur - Recht - Wirtschaft in einem freien, föderativen System”/ “Die Gleichberechtigung von Mann und Frau”/
“Die Überwindung der Lohnabhängigkeit”/ “Die Realisierung einer wirklich christlichen Welt”/ “Der Kampf der Ideen”/ “Die Entgiftung von Erde, Wasser und Luft” . . . Die DSP lehnte eine Einordnung in das traditionelle Schema “Rechts-Mitte—Links, das sie für überholt und schädlich erklärte, ab und sagte der herrschenden Macht- und Parteienstruktur den Kampf an. Naturgemäß entfaltete sie ihre Arbeit zunächst in der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, machte innerhalb der Studentenschaft Front gegen den Alleinvertretungsanspruch der Professoren, die Aufnahme- und Prüfungsbedingungen der Akademie, legte eine neue Hochschulverfassung auf der Grundlage der Autonomie der Akademie vom Staat vor, in der es freies, gleichberechtigtes Partnerschaftsverhältnis von Lehrern und Schülern ebenso wie offene Aufnahme aller an einem Studium Interessierter als Punkt enthalten waren, und erkämpfte die ersten Schritte einer studentischen Mitsprache in der Vollkonferenz und die zeitweise unbeschränkte Immatrikulation aller, die einen Lehrer fanden. Beuys selbst lieferte dafür die entscheidende Schleusenöffnung: Er nahm aus Prinzip jeden in seine Klasse auf - gerade auch diejenigen, weiche von den anderen Professoren abgelehnt wurden. Dadurch entstand innerhalb weniger Jahre in der Akademie ein heißes Feld der Auseinandersetzung, die im Mai 1969 auf Veranlassung der Akademieleitung und des Kultusministers zu einer 10-tägigen Schließung des Instituts und der Androhung einer Kündigung von Beuys und im Oktober 1972, nachdem Beuys - seine Klasse umfasste mittlerweile mehr als 400 Studenten - zum 2. Mal das Sekretariat der Akademie besetzt hatte, um die Immatrikulation von ihm angenommener, aber vom Minister (gegen Konferenzbeschluss) zurückgewiesener Studienbewerber zu erzwingen, zur fristlosen Kündigung des Professors führte. Um die spirituelle Dimension ihres Wesens zu bekunden und das Missverständnis einer Mini-Partei üblicher Art auszuschließen, gab sich die DEUTSCHE STUDENTENPARTEI seit 1969 parallel den Namen FLUXUS ZONE WEST Der geistige Impuls Mitteleuropas und dessen Brückenfunktion zwischen Abendland und östlicher Geistigkeit sollte als vorn Westprinzip ausgehen— de Überwindung des Materialismus aus dem Materialismus selbst - “similia similibus curantur’ - und als Erweiterung des naturwissenschaftlichen Wissenschaftsbegriffs erkannt und umgesetzt werden.
4. Im Frühjahr 1970 mietete Joseph Beuys in der Düsseldorfer Altstadt ein Ladenlokal, das er als öffentlich, für jedermann zugängliches Informations- und Aktionsbüro einrichtete, und tat damit den ersten Schritt über den speziellen Kunstakademiebereich hinaus. Die DEUTSCHE STUDENTENPARTEI wurde übergeführt in die ORGANISATION DER NICHTWAHLER, die seit Herbst 1971 ORGANISATION FUR DIREKTE DEMOKRATIE DURCH VOLKSABSTIMMUNG hieß. Der Anti Parteien-Impuls, der von Anfang an als dynamische Paradoxie in der Studentenpartei wirkte, wurde nun methodisch konzentriert und als Instrument zur Durchsetzung aller inhaltlichen Punkte wurde die Vol k s a b s t i m u n g nach vorheriger freier Information in die Debatte gebracht. Dabei rief Beuys unter der Parole “Überwindet endlich die Parteiendiktatur! oder “Wählt nie wieder politische Parteien; denn diese vertreten nicht die Interessen des Volkes, sondern nur die ihrer Geldgeber !‘ offen zur Wahlverweigerung und zur Gründung einer Volks- bzw. Burgerinitiative auf, welche die Keimzelle einer neuen Gesellschaftsgestalt auf der Grundlage der Selbstbestimmung, direkter demokratischer Einwirkungsmöglichkeit auf die Gesetzgebung und eines bedarfsorientierten, nichtkapitalistischen Wirtschaftssystems werden sollte. Die Organisation veranstaltete Versammlungen und Straßenaktionen, bei denen diese Prinzipien permanent zur Diskussion gestellt wurden. Im Sommer 1972 installierte Joseph Beuys sein Informationsbüro auf der Documenta 5 in Kassel und war persönlich während der gesamten 100 Tage dort anwesend. Diese weltweit beachtete, öffentliche Aktivität, die Beuys provokant, aber sachgemäß als Kunst nämlich als die wirklich zeitgemäße Kunst ausgab, trug dazu bei, dass sich immer mehr andere politisch fortschrittliche Kräfte im Umkreis der Organisation einfanden - sicher aber auch, dass Beuys 1 Tag nach Beendigung der Documenta von dem Wissenschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, einem einflussreichen SPD- Funktionär, der später Ministerpräsident und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD werden sollte, fristlos (und wiederum 1 Tag später “vorsorglich” fristgerecht) als Lehrer der Kunstakademie Düsseldorf gekündigt wurde (S. o. ). Bereits “vorsorglich” war Joseph Beuys nie zum Beamten ernannt worden! Noch im Frühjahr 1972 hatte Beuys, der auf die freiwerdenden Messehallen der Stadt Düsseldorf als Standort einer vom Staat unabhängigen Akademie (aber auch zum Zwecke der Erweiterung der Kunstakademie Räumlichkeiten, insbesondere seiner eigenen, immer enger werdenden Klasse) spekulierte, einen Trägerverein Freie Internationale Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung’ gegründet. Zwar sollte es zur Umsetzung dieses Plans nicht kommen - die Messehallen wurden nicht freigestellt, der Verein aber blieb bestehen wie auch die Idee einer Schulgründung an anderem Ort zu einem anderen Zeitpunkt.
Im Herbst 1976 kam es anlässlich der Bundestagswahlen zu einem Arbeitsbündnis der ORGANISATION FÜR DIREKTE DEMOKRATIE mit der fast unbekannten ‘Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher”(AUD), einer kleinen, vornehmlich in Süddeutschland wirkenden Partei, die sich für direkt-demokratische Erweiterungen des bestehenden Parlamentarismus - so für das Prinzip Volksabstimmung oder die Einrichtung einer Institution “Bundes-Volksbeauftragter’ - einsetzte und die Blockfreiheit Deutschlands propagierte. Diese Partei stellte ihre Listenplätze für parteiunabhängige Persönlichkeiten zur Verfugung. So kandidierte Joseph Beuys auf einem Listenplatz für den Bundestag: ‘KREATIVITÄT = VOLKSVERMÖGEN - - Freie Kultur! Ich kämpfe für sie, für freie staatsunabhängige Schulen und Hochschulen. Freie Volksuniversitäten und eine RECHTSFORM des GELDES im Sinne des nach freier Entfaltung der Fähigkeiten drängenden Volkes. (DEMOKRATISCHES FINANZRECHT)..
Parallel zu diesen Aktivitäten hatte sich eine Verbindung mit einer Gruppe von Menschen entwickelt, die sich z. T. aus der anthroposophisch orientierten Dreigliederungsbewegung
z. T. aus im Exil arbeitenden Kreisen des “Prager Frühlings’ zusammensetzte und den Ideenimpuls von Wilhelm Schmundt ‘Der soziale Organismus In seiner Freiheitsgestalt’ und sein neuer Geldbegriff (s. o. ) unter der Bezeichnung AKTION 3. WEG (A3W) in die sich u. a. aus Überresten der APO neu formierende Bürgerinitiativbewegung einbringen wollte und die in Achberg/Bodensee ein öffentliches Konferenz- und Tagungszentrum gründete. Die ORGANISATION FÜR DIREKTE DEMOKRATIE, deren Büro in der Düsseldorfer Andreasstrasse 25 seit dem Herbst 1971 ein ehemaliger Landmaschinenbau-Ingenieur, Karl Fastabend, leitete, der aufgrund seiner jahrelangen Arbeit an einer “Demokratenfibel” auf Joseph Beuys gestoßen war, drängte immer mehr aus ihrer methodischen Beschränkung auf das Rechtsinstrument “Volksabstimmung” heraus, gewissermaßen - auf einer höheren Stufe - wieder zurück auf die Darstellung des Universalprinzips: die freie, internationale Universität als Inspirationsorgan für eine neue Gesellschaftsordnung. Lag der Akzent zu Beginn auf der AUTONOMIE DES BILDUNGSBEREICHS - “Autonomie der Akademie” - und hatte er sich in der folgenden Etappe auf die DEMOKRATISIERUNG DES RECHTSBEREICHS verschoben, so rückte nun in der Logik der weiteren Konkretisierung die BESCHREIBUNG DES WIRTSCHAFTSWESENS auf der Grundlage eines elementaren Kapitalbegriffs und seiner Trennung vom Geldbegriff in das Zentrum der Betrachtung. Er, der Kapitalbegriff, kristallisierte sich zum Schlüsselbegriff der gegenwärtigen Kulturstufe der Menschheit, die ja eine “Wirtschaftskultur” ist. Immer deutlicher stellte sich heraus, dass der Hebelpunkt einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung im Kapitalbegriff selbst lag, den es ins Bewusstsein zu rücken gilt.
5. So rief Joseph Beuys im Sommer 1977 anlässlich seines Beitrags zur Documenta 6 Honigpumpe am Arbeitsplatz” die FREIE INTERNATIONALE UNIVERSITAT aus und veranstaltete - wiederum 100 Tage - in einem der Documenta - Räume, durch den der Schlauch der Honigpumpe und der in ihm ununterbrochen zirkulierende Honig geleitet war, ein permanentes Seminar von morgens bis abends. Beuys hatte alternative Arbeitsgruppen, Vertreter politisch unterdrückter Minderheiten, Exilanten, Verfolgte, eine Abordnung von Lucas Aerospace Shop Stewards Combine, Wissenschaftler, Ärzte, Musiker, Maler, Bildhauer, Journalisten usw. — Initiativen aus aller Welt zu dieser öffentlichen Konferenz eingeladen, um an diesem Modell die Idee einer zu institutionalisierenden, permanent tagenden, öffentlichen, internationalen Konferenz über die Schicksalsentscheidenden Fragen der Menschheit zu demonstrieren. Es entstand das komplexe Bild unterschiedlichster Ansätze und Losungswege, wie die Machtstruktur des Kapitalismus in West und Ost, in Nord und Süd überwunden werden könnte, und die in ihrer Verschiedenheit alle, bewusst oder unbewusst, nach einem verbindenden Zentralprinzip drängten, nach jener Energie, die sich erst einstellt, wenn eine Detailproblematik restlos bis ins Zentrum der Gesamtproblematik zu Ende gedacht ist. Denn leicht hätte das Gefüge eines solchen Mammutprogramms zur ermüdenden Addition disparater Elemente verflachen können - Pluralismus ist ja noch nicht Freiheit! -, wäre da nicht jener von Beuys, dem einzig an j e d e m Tag Anwesenden, gezogene rote Faden des neuen Kapitalbegriffs gewesen: das Grundprinzip der FIU. In diesem Zusammenhang trat auch Rudi Dutschke zum ersten Mal mit Beuys in Kontakt. Die Freundschaft und gemeinsame Arbeit mit ihm, der zwar schon 1967 regelmassig mit Informationspapieren der DSP versorgt worden war, ohne dass er damals darauf reagiert hatte, wurde immer fruchtbarer und intensiver. Geplant war ein gesondertes Institut für Dutschke im Rahmen der FIU. Sein plötzlicher Tod, Weihnachten 1979, war ein großer Verlust.
1979 - im Zuge der sich zusehends konturierenden Ökologie-, Basisdemokratie- und Friedensbewegung - ergriff die FIU gemeinsam mit der AKTION 3. WEG (A3W), der AUD, organisierten Umweltschutzinitiativen und der von dem Bundestagsabgeordneten, aus der CDU ausgetretenen Herbert Gruhl gegründeten GAZ (GRÜNE AKTION ZUKUNFT) die Initiative zur Gründung der Grünen , die als “Sonstige politische Vereinigung” zur Europawahl - u. a. mit Joseph Beuys als Kandidat - antraten und 1980 - ebenfalls unter direkter Mitwirkung der FIU - als parlamentarischer Arm der Alternativbewegung in Deutschland die Form einer Partei erhielten. Sofern die FIU innerhalb dieses Rahmens seitdem in Erscheinung tritt, versteht sie sich als parteiunabhängiges, autonomes Forschungsinstitut, das der GRUNEN BEWEGUNG seine Forschungsergebnisse zur Verfugung stellt und die Partei davor zu bewahren trachtet, dass sie Im Automatismus des Parteienbegriffs verendet und ihr ursprüngliches Ziel aus den Augen verliert - wohl wissend, dass die Überwindung der herrschenden inneren und äußeren Machtstruktur ohne diePrinzipien der “Antipartei, der “Volksabstimmung”, des “Entstaatlichten Schul— und Bildungswesens”, aber insbesondere ohne den Geist des erweiterten Kunstbegriffs, ohne also das Erkennen des Kapitals sowie des Wesens vom Geld nicht möglich ist. Während des Bundestagswahlkampfes 1981 ließ Joseph Beuys als Spitzenkandidat der GRÜNEN im Zentrum Düsseldorfs ein GRÜNES ZELT errichten, wo er täglich für alle Burger zur Verfügung stand. 1982 Übertrug Beuys die Koordination und Durchführung seines documenta-7-Beitrages “7000 Eichen” der FIU, die im Befassen dieser praktischen, vielschichtigen Aufgabe (und Projekten ähnlicher Art) nun in die Gestalt eines Selbstverwalteten Unternehmens hineinwächst und eich von daher mit der konkreten Frage der Bildung eines umfassenden Finanzierungsprogramms im Sinne einer Stiftung zu beschäftigen hat. Auszug aus: FIU/ Free International University/Organ des Erweiterten Kunstbegriffs für die Soziale Skulptur, Eine Darstellung der Idee und Entstehungsgeschichte der FIU, von Johannes Stüttgen, Wangen 1992. FIU Verlag/Rainer Rappmann.
Mit Dank an J.Stüttgen und R. Rappmann. Waldo Bien / F.I.U. Amsterdam 2007
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